Alzheimer-Wirkstoff Aducanumab
Unter dem Markennamen Aduhelm kam im Jahr 2021 in den USA das erste Alzheimer-Medikament auf den Markt, das die Auswirkungen einer Erkrankung nicht nur lindern, sondern die Gehirnfunktion sogar verbessern sollte. Der im Medikament enthaltene Wirkstoff Aducanumab wurde jedoch kontrovers diskutiert, da die Ergebnisse der damals durchgeführten klinischen Studien widersprüchlich waren. Im Jahr 2024 hat der Hersteller Biogen die Produktion und den Vertrieb des Medikaments beendet. In der Europäischen Union und in der Schweiz war der Wirkstoff nie zugelassen.
Alzheimer Schweiz hat die wichtigsten Fakten zu Aducanumab nachfolgend zusammengestellt.
Was war Aducanumab?
Aducanumab war ein von der Neurimmune AG in Schlieren (ZH) entdeckter Wirkstoff. 2007 ging die Lizenz an die amerikanische Firma Biogen, die zusammen mit der japanischen Partnerfirma Eisai an der Entwicklung und Vermarktung arbeitete. Aducanumab zielte auf die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Eiweiss-Ablagerungen im Gehirn, das sogenannte Beta-Amyloid (auch Plaques genannt), kurz Aß ab. Aß gilt nach aktuellem Wissenstand als einer von zwei Eiweissstoffen, welche ursächlich für die Alzheimer-Krankheit sind. Aducanumab war ein Antikörper, der sich gegen diese Aß-Ablagerungen im Gehirn richtete. Ziel des Wirkstoffes war es, mittels passiver Immunisierung dazu beizutragen, dass die Immunzellen das Eiweiss im Gehirn erkennen und abbauen. Damit sollte einer Zerstörung von Nervenzellen entgegengewirkt werden. Durch den Abbau der Eiweissablagerungen hatte Aducanumab das Ziel das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit deutlich zu verzögern. Im Jahr 2024 wurde die Produktion des Wirkstoffes eingestellt.
Was passiert bei der Alzheimer-Krankheit und welche Rolle spielen Plaques aus Beta-Amyloid dabei? Die Alzheimer Forschung Initiative e.V. erklärt in ihrem Video in einfachen Worten die komplexen Vorgänge. |
Was war der Unterschied von Aducanumab und Aduhelm?
Aducanumab war der Wirkstoff des in den USA unter dem Markenname Aduhelm zugelassenen Alzheimer-Medikaments.
Wie wirkte das Medikament Aduhelm?
Der Wirkstoff wurde in zwei grossen Phase-III-Studien an mehr als 3’200 Probandinnen und Probanden mit frühem Stadium einer Alzheimer-Erkrankung während 18 Monaten getestet. Eine nachträgliche Analyse zeigte bei einer der zwei Studien Wirkung: Je höher die Dosierung und je länger Aducanumab verabreicht wurde, desto positiver war der Effekt. Bei einigen Studienteilnehmenden waren die Eiweiss-Ablagerungen nach einem Jahr nahezu vollständig entfernt. Auch ihr Gedächtnis hatte sich leicht verbessert. Aducanumab konnte die Alzheimer-Krankheit jedoch nicht heilen. Die Studienergebnisse wurden damals in der Fachwelt kontrovers diskutiert (siehe «Umstrittene Zulassung in den USA» weiter unten).
Für wen war das Medikament Aduhelm geeignet?
Bereits verloren gegangene Nervenzellen konnte auch dieser Wirkstoff nicht zurückbringen. Darum eignete sich die Therapie für Personen, die nur wenig geistige Leistungsfähigkeit eingebüsst hatten. Pflicht war der Nachweis der Alzheimer-typischen Amyloid-Plaques bei den Erkrankten. Solch ein Nachweis ist mit aufwendigen Voruntersuchungen verbunden. Der Nachweis für solche Eiweissstoffe im Gehirn liefert eine Analyse der Rückenmarksflüssigkeit mittels Punktion oder Hirnscan. Beide Methoden führen nur Spezialkliniken durch und sind kostenintensiv.
Wie wurde Aduhelm eingenommen?
Der Wirkstoff wurde regelmässig, in Form von monatlichen intravenösen Infusionen verabreicht. Zur Überwachung möglicher Nebenwirkungen konnten zusätzlich regelmässige MRT-Untersuchungen, ein bildgebendes Untersuchungsverfahren, notwendig sein.
Welche Nebenwirkungen waren bekannt?
Wie bei jedem Medikament konnte eine Behandlung mit Aduhelm auch mit Nebenwirkungen einhergehen. In den damals durchgeführten Phase-3-Studien zeigten 35 Prozent der Proband*innen unter hoher Dosierung Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen, Wassereinlagerungen, Übelkeit und Schwindel. Nach Absetzen des Medikaments hatten sich diese jedoch in den meisten Fällen wieder zurückgebildet.
War das Medikament Aduhelm in der Schweiz erhältlich?
Aduhelm war hierzulande nie erhältlich. Mitte April 2021 reichten Biogen/Eisai ein Zulassungsgesuch für die Schweiz beim schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic ein. Am 11. Mai 2022 zog Biogen Switzerland das Zulassungsgesuch jedoch zurück.
Der Zulassungsentscheid der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA im Jahr 2021 spaltete damals die Forschungsgemeinde weltweit.
Umstrittene Wirkung
Der Wirkstoff Aducanumab wurde in zwei grossen Phase-3-Studien «Emerge» und «Engage» an mehr als 3’200 Probanden in frühem Stadium ihrer Alzheimer-Erkrankung getestet. Aufgrund einer Zwischenanalyse, welche die Daten von rund 1’700 Probanden berücksichtigte, stuften die Forschenden das Erreichen der Studienziele als unwahrscheinlich ein. Daraufhin brachen sie die Studien im März 2019 vorerst ab. Während der Analysephase wurden jedoch die Studienteilnehmenden weiter mit Aducanumab behandelt und damit auch weitere Daten zur Wirkung erhoben. Diese zusätzlichen Daten wurden erst in einer späteren Auswertung berücksichtigt. Diese Post-Hoc-Auswertung zeigte bei einer der zwei Studien eine leicht positive Wirkung auf.
Eine nachträgliche Auswertung gescheiterter Studien ist grundsätzlich nicht unüblich. Sie dient dazu, aus Fehlern zu lernen. Um herauszufinden, warum ein Wirkstoff nur bei einem Teil der Proband*innen wirkte, braucht es unter solchen Bedingungen normalerweise eine weitere, neue Studie. Daher sah auch ein unabhängiges Expertengremium, das die FDA beriet, die damals vorliegenden Daten nicht als schlüssigen Beweis für die Wirksamkeit von Aducanumab und empfahl die Ablehnung der Zulassung. Für die Expertinnen und Experten stand fest: Der Wirkstoff Aducanumab vermag es, die schädlichen Eiweissablagerungen im Gehirn aufzulösen. Ob dadurch tatsächlich die Nervenzellen der Patient*innen gerettet und das fortschreitende Vergessen gestoppt werden kann, war jedoch noch nicht abschliessend geklärt.
Trotz der unschlüssigen Datenlage entschied sich die FDA für eine Zulassung mit Bedingungen: Weitere klinische Studien sollten den Nutzen des Medikaments verifizieren. Die Ergebnisse dieser Phase-IV-Studie hätte Biogen bis Februar 2030 publizieren müssen.
Der damalige Entscheid der FDA hatte zur Folge, dass drei Experten das unabhängige Gremium, welches die FDA beriet, verliessen. Sie störten sich an der Zulassung gegen ihre Empfehlung. Sie waren der Überzeugung, dass das Medikament keine Vorteile für die Betroffenen im Alltag bringt.
Neue Ära von Therapiemöglichkeiten
Neben den vielen kritischen Stimmen kam auch positives Echo aus der Fachwelt. Für Befürworter*innen war die Zulassung ein erster wichtiger Schritt in Richtung eines wirksamen Medikamentes. Patrizia Cavazzoni, Direktorin des Center for Drug Evaluation Research der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, begründete den Entscheid wie folgt: «Diese Therapiemöglichkeit ist die erste, die auf den zugrundeliegenden Krankheitsprozess von Alzheimer abzielt und diesen beeinflusst. Wie wir aus dem Kampf gegen Krebs gelernt haben, kann der beschleunigte Zulassungsweg Therapien schneller zu den Patienten bringen und gleichzeitig zu mehr Forschung und Innovation anspornen». Weitere Beobachter ziehen den Vergleich zu den ersten HIV-Medikamenten. Auch da war bei den ersten Arzneien nur ein kleiner Effekt zu verzeichnen. Die frühen Therapieformen waren jedoch Ausgangslage für eine Reihe von Kombinationsanwendungen, die schlussendlich zum Wendepunkt im Kampf gegen die Krankheit führte.
Alzheimer ist eine multifaktorielle Erkrankung. Das heisst, verschiedene Faktoren sind an der Entstehung beteiligt. Die Ausprägung kann sich von Person zu Person massiv unterscheiden. Bei dieser Heterogenität und Komplexität ist es wahrscheinlich, dass ein einziges Medikament nicht den grossen Erfolg bringt, sondern verschiedene Medikamente zu einer individuellen Therapie zusammengestellt werden müssen. Auch andere Wirkmechanismen sind wichtig und bedürfen der Forschung.
Auch «Apropos – der tägliche Podcast» des Tagesanzeigers ging damals unter anderem der Frage nach, warum die Zulassung umstritten ist. Wissenschaftsredaktorin Anke Fossgreen bringt es auf den Punkt. Reinhören lohnt sich! |
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat am 17. Dezember 2021 die Zulassung des Alzheimer-Medikamentes Aducanumab abgelehnt. Die Behörde folgte damit der Empfehlung eines Expertengremiums, dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA. Dieser hatte bereits Mitte November 2021 ein «negatives Trendvotum» bekannt gegeben.
Die EMA begründete ihren Entscheid damit, dass Biogen nicht genügend wissenschaftliche Beweise vorlegen konnte, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Aducanumab nachzuweisen. Biogen hatte eine erneute Prüfung der Zulassung beantragt, diese aber am 22. April 2022 zurückgezogen. Im Juni 2022 hat Biogen eine Phase IV-Studie mit Aducanumab gestartet, diese jedoch im Jahr 2024 abgebrochen.
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Im April 2021 reichten Biogen/Eisai ein Zulassungsantrag beim schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic ein. Dieses wurde jedoch im Mai 2022 zurückgezogen.
Weitere Therapiemöglichkeiten
Bisherige in der Alzheimer-Therapie eingesetzte Medikamente wirken indirekt, indem sie die Hirnleistung stimulieren, den Krankheitsverlauf damit etwas verzögern und vor allem die Begleiterscheinungen der Erkrankung wie beispielsweise Depression oder Unruhe günstig beeinflussen.
Der Beitrag «Medikamentöse Therapie bei Demenz» bietet einen Überblick.
Neben medikamentösen Behandlungsformen gibt es auch nichtmedikamentöse Therapien, die insbesondere bei Begleitsymptomen und psychischen Symptomen helfen.
Der Beitrag «Nichtmedikamentöse Therapien» bietet einen Überblick.