Gegen 8 Uhr morgens, um 11 und abends; ich kontaktiere meine Mutter dreimal täglich mit Videotelefonie, selbst wenn ich unterwegs bin. Melde ich mich nicht, ruft sie an und fragt, was los sei. Dieser enge Kontakt mit meinen Eltern im Libanon ist nichts Neues für mich. Unsere Familie – mein Bruder und ich in der Schweiz, die zweite Schwester in Neuseeland – ist sehr eng verbunden. Seit der Demenzdiagnose bei meinem Vater vor über fünf Jahren sind wir Geschwister so präsent, dass kein Tag ohne Kontakt vergeht. Meine Mutter informiert uns zur medikamentösen Behandlung, erzählt aus dem Alltag. Der Geriater ist jederzeit auf seiner Privatnummer erreichbar. Ich bin zwar nicht vor Ort, aber doch sehr nahe. Manchmal erscheint mein Vater auf dem Bildschirm. Es tut ihm gut, mich und seine Enkel_innen zu sehen. Ich reise dreimal im Jahr nach Beirut. Beim nächsten Besuch werde ich eine GPS-Uhr mit Personenortung mitbringen, damit Mutter sich weniger sorgt, dass Vater sich auf seinen Spaziergängen verirrt. Das Alzheimer-Telefon hat mich beraten. Wenn ich in Beirut bin, achte ich darauf, möglichst auch Zeit mit meiner Mutter alleine zu verbringen, damit sie «abladen» kann. Das Tabu ist in Beirut mit demjenigen hier auf dem Land vergleichbar: Das Umfeld nimmt Veränderungen wahr, fragt aber nicht direkt. Meine Mutter weigert sich noch, Freundinnen und Bekannte zu informieren. Und ich spiele ihr zuliebe mit. Sie war schon in einer Angehörigengruppe, fühlte sich dort aber fehl am Platz. Oder wie sie es sagt: «Das deprimiert nur.» Sie will wohl nicht schon hören, wie sich der Zustand ihres Mannes verschlechtern wird. Mit ein Grund, wieso wir bei unseren Gesprächen viel lachen, auch über Vaters «Missgeschicke» und neue Marotten. Ich sehe, wie ihr das hilft. Auch ich überlege heute noch nicht, wie es in einigen Jahren sein wird. Ich will hier und jetzt meinen Eltern nahe sein und nutze dazu alle – auch technischen – Möglichkeiten.
Rita Sayah (38) lebt mit Partner und zwei Kindern in Genf.
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