«Hilfe von aussen annehmen, muss gelernt werden»
Angehörige von Demenzerkrankten übernehmen viel Betreuungs- und Pflegearbeit. Damit sie nicht an ihre Grenzen kommen, benötigen sie Entlastung. Prof. Dr. Neuner-Jehle vom Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich, sagt im Interview, was Angehörige erwarten dürfen und ermutigt, auch auf sich selbst zu achten.
«auguste»: Herr Neuner-Jehle, Sie forschen seit vielen Jahren zu Personen, die von verschiedenen, teilweise auch chronischen Erkrankungen betroffen sind. Was interessiert Sie dabei besonders?
Es war mir immer schon ein Anliegen, mich um die besonders Belasteten und weniger Privilegierten zu kümmern, auch als Forscher. Ausserdem steigt die Zahl chronisch kranker und multimorbider Menschen stetig an, und damit die Relevanz für Forschung, besonders hinsichtlich guter Betreuungsformen. Oft werden genau ältere Personen von grossen Studien ausgeschlossen, weil sie aus methodischer Sicht «Risiken» für den Studienerfolg darstellen. Daraus folgt, dass das Wissen zu chronisch Kranken und Multimorbiden lückenhaft ist.
Wie können Fachpersonen Demenzbetroffene gut begleiten?
Besonders wichtig scheint mir die Präsenz eines fachkundigen und empathischen Ansprechpartners. Dass jemand da ist, an den sich Betroffene in der Not wenden können, ist schon eine grosse Hilfe. Wichtig ist ausserdem das Begegnen auf Augenhöhe, die Wertschätzung der riesigen Arbeit von Angehörigen und die gemeinsame Suche nach pragmatischen Lösungen.
Ihr Forschungsprojekt zielt darauf ab, dass Angehörige bei der Suche nach Hilfsangeboten und beim Aufbau eines Unterstützungsnetzwerks begleitet werden. Warum orten Sie hier Verbesserungsbedarf?
Wir sollten diese aufwändige Aufgabe nicht den Angehörigen zumuten, die durch die direkte Betreuung schon an ihre Grenzen kommen. Leider ist die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit immer noch eine grosse Baustelle, die mit unserem fraktionierten Gesundheitswesen zusammenhängt. Gerade bei chronisch oder mehrfach Kranken, die durch verschiedene Fachdisziplinen und Professionen betreut werden, ist die Koordination unabdingbar, aber eben aufwändig: Es braucht zusätzlich zur direkten Betreuung Zeit, es braucht effiziente Kommunikationskanäle, es braucht eine anständige Vergütung des Aufwands. All dies ist Mangelware und/oder erst im Aufbau in unserem Gesundheitssystem.
Was sollen Angehörige besonders beachten?
Für Angehörige in belastenden Betreuungssituationen ist es wichtig, dass sie auch für sich schauen und auf eigene Bedürfnisse und Freiräume achten. Einfach gesagt, aber schwer umsetzbar in dieser Situation. Für viele ist der Austausch mit anderen Betroffenen und Fachpersonen wichtig: Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist. Und Hilfe von aussen annehmen zu können, muss zuerst noch gelernt werden. Ein letzter Tipp, den ich Betroffenen gerne gebe: Angehörige sollen trotz aller mühsamer Phasen die ruhigeren Momente der Zweisamkeit bewusst geniessen, so gut es geht. Diese entspannte Nähe lädt die Reserven auf und ruft in Erinnerung, warum man sich so engagiert um den Nächsten kümmert.
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