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Mann mit Demenz sitzt mit seiner Frau auf einer Bank

Alzheimer-Medikament zugelassen: Silberstreifen am Horizont

Stellungnahme: FDA erteilt bedingte Zulassung für Aducanumab | 07.06.2021

Am 7. Juni 2021 hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA dem in Expertenkreisen kontrovers diskutierten Alzheimer-Wirkstoff Aducanumab die bedingte Zulassung erteilt und den US Pharmakonzern Biogen aufgefordert, mit einer weiteren Studie, den klinischen Nutzen des Medikament zu verifizieren. Alzheimer Schweiz begrüsst diesen Entscheid, der Demenzerkrankten und ihren Familien Hoffnung gibt, aber dennoch der ambivalenten Datenlage Rechnung trägt.

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Demenzform und gilt als eine der grössten gesundheitlichen Herausforderungen weltweit. Allein in der Schweiz sind rund 144'000 Menschen erkrankt (Alzheimer Schweiz 2020). Eine Heilung oder eine Therapie, welche das Fortschreiten der Erkrankung verhindern könnte, gibt es bis heute nicht. Bisherige Studien sind an der Entwicklung eines entsprechenden Medikaments gescheitert. Der Alzheimer-Forschung ist mit der am 7. Juni 2021 durch die FDA (U.S. Food and Drug Administration)erteilten bedingten Zulassung des Wirkstoffs Aducanumab der Biotechkonzerne Biogen und Eisai ein erster wichtiger Schritt in Richtung eines wirksamen Medikamentes gelungen. Mit den zusätzlich geforderten klinischen Studien nach der Zulassung hat die FDA den Aspekt der Patientensicherheit berücksichtigt.

Verantwortungsvoller Entscheid

Für Alzheimer Schweiz ist die derzeitige bedingte Zulassung des Wirkstoffs vor dem Hintergrund der umstrittenen Datenlage daher vor allem eines: verantwortungsvoll. Mit diesem Entscheid trägt die FDA einerseits den bisherigen positiven Studienergebnissen Rechnung. Alzheimer Schweiz begrüsst insbesondere auch die Entscheidung der FDA, zusätzliche Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten für die Einführung des Medikaments bei Patienten in den USA zu verlangen, um damit Bedenken auszuräumen, die durch die unklaren Ergebnisse der beiden bisherigen Studien entstanden sind. Dies ist vor allem für das Vertrauen der Patientinnen und Patienten, aber auch der behandelnden Ärztinnen und Ärzten in das Medikament ein wesentlicher Beitrag.

Frühe Diagnose und Monitoring sind entscheidend

Die Alzheimer-Krankheit stellt global eine der grössten gesundheitspolitischen Herausforderungen dar. Neben den hohen und vielfältigen Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme führt die Erkrankung vor allem zu grossen Belastungen und Einschränkungen der Lebensqualität der weltweit mehr als 50 Millionen Patient*innen und ihrer Angehörigen. Mehrere Jahrzehnte internationaler Medikamenten-Forschung haben bisher keinen Erfolg gebracht. Die Entwicklung des Wirkstoffs Aducanumab als grosser Hoffnungsträger wurde von der Forschungsgemeinschaft wie auch von den Betroffenen seit Jahren mit Spannung verfolgt. Der gesellschaftliche, aber auch der wissenschaftliche und wirtschaftliche Erwartungsdruck für ein wirksames Alzheimer-Medikament ist enorm. Auch wenn der Wirkstoff die Bildung der für die Alzheimer-Krankheit typischen Eiweissablagerungen nicht stoppt,kann die Therapie diese Ablagerungen abbauen und so das Absterben von Nervenzellen verhindern. Der Krankheitsverlauf liesse sich damit signifikant verzögern. Hierfür muss das Medikament möglichst in einem sehr früheren Stadium der Erkrankung eingesetzt werden, wenn bisher noch keine Symptome aufgetreten sind oder nur wenig geistige Leistungsfähigkeit eingebüsst wurde (mild cognitive impairment, MCI).

Dennoch wird Aducanumab kein «Wundermittel» sein, da er – wie jedes Medikament – auch mit Nebenwirkungen verbunden ist. Daher wird trotz der bedingten Zulassung die Zielgruppe für den Wirkstoffs eng umschrieben und mit aufwändigen Voruntersuchungen (Punktion der Rückenmarksflüssigkeit oder Hirnscan) für die Zulassung zur Behandlung verbunden sein. Zur Überwachung möglicher Nebenwirkungen können zusätzlich regelmässige MRT- Untersuchungen sinnvoll sein. Die Eignung für die Behandlung, die Risiken der Nutzen und die Kosten sollten daher realistisch besprochen werden.

Swissmedic prüft Zulassung für die Schweiz

Mitte April 2021 reichte Biogen ein Zulassungsgesuch für die Schweiz beim schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic ein. Das Institut evaluiert zurzeit, ob der Prüfungsantrag angenommen werden soll. Swissmedic muss jedoch zu einem eigenständigen Zulassungsentscheid kommen, was bedeuten kann, dass er von dem der FDA abweicht. Der Begutachtungsprozess dauert in der Regel mehrere Monate. Ob, für wen und wann Aducanumab als Medikament in der Schweiz zugänglich sein wird, wird nicht zuletzt auch eine Frage der Vergütung sein. Um von den Krankenkassen bezahlt zu werden, muss es zudem in der Spezialitätenliste des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aufgenommen und auf Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft werden. Auch dieser Prozess unter Einbezug der Arzneimittelkommission dauert mehrere Monate. Alzheimer Schweiz hofft, dass nach einer Zulassung in der Schweiz die zuständigen Stellen sicherstellen werden, dass diese innovative Behandlung schnell verfügbar und für Erkrankte unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund oder Wohnort zugänglich sein wird. Im Oktober 2020 wurde auch ein Zulassungsantrag für Europa an die EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) gestellt; mit einem Ergebnis ist frühestens Ende 2021 zu rechnen.

Transparente Information, Beratung und Unterstützung bleiben wichtig

Alzheimer Schweiz betont die Notwendigkeit transparent und mit realistischen Erwartungen über die Wirkung des Medikaments und seine Nebenwirkungen zu kommunizieren, da die Behandlung auf Patient*innen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung/Demenz beschränkt sein wird.  Während dieser wichtige Fortschritt in der Behandlung von Menschen in den früheren Stadien von Alzheimer ermutigend ist, setzt sich Alzheimer Schweiz weiterhin für einen ganzheitlichen Ansatz für die Alzheimer-Krankheit und wiederholt ihre Forderung nach fortgesetzter Erforschung anderer Behandlungsmöglichkeiten, einschliesslich der symptomatischen und psychosozialen Behandlung der Erkrankten über den gesamten Krankheitsverlauf.

Zurzeit sind auch weitere klinische Studien in der Pipeline, welche teilweise auf andere an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beteiligte Mechanismen abzielen und in den ersten Untersuchungsphasen bereits vielversprechende Ergebnisse erbracht haben. Diese können umso bedeutender sein, als sie die möglichen Zielgruppen für eine Therapie erweitern könnten und somit Hoffnungsträger für einen grösseren Kreis von Betroffenen sind.