Im Gespräch: Dr. Claus Bolte, Bereichsleiter Zulassung – Marketing Authorization, Swissmedic
00:00 Einführung
01:24 Wann in der Entwicklung eines Medikaments beginnt ihre Arbeit an und wann endet sie?
05:23 Haben Sie für jede Erkrankung Experten vor Ort oder gibt es auch Expertengremien, die sie für spezifische Medikamente einsetzen?
09:52 Wie lange dauert es durchschnittlich von der Antragseinreichung bis zum Entscheid?
11:14 Was sind die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Zulassungsverfahren?
12:42 Der Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren muss durch den/die Gesuchsteller*in erfolgen?
14:10 Wie trägt das Zulassungsverfahren dazu bei, dass die Patienten einem neuen Medikament vertrauen können?
17:35 Trotz wissenschaftlicher Daten kann es international auch zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Wie gehen sie damit um?
20:52 Swissmedic führt regelmässig Runde Tische mit Vertretern der pharmazeutischen Industrie durch. Passt das zu Unabhängigkeit?
24:16 Wenn Swissmedic eine Zulassung erteilt hat, ist dann Ihre Arbeit abgeschlossen?
27:37 Sollte nach der Zulassung bisher unbekannte gravierende Nebenwirkungen auftreten, kann dann die Zulassung wieder entzogen werden?
29:44 Ist das Medikament ab Zulassung für Patient*innen erhältlich?
33:15 Nach der Zulassung folgt also ein weiterer Gutachtungsprozess, der auch wiederum Zeit beansprucht?
34:24 Ist Ihnen sonst noch was wichtig zu erwähnen?
Interview zum Nachlesen (gekürzte Version)
Wie lange dauert es durchschnittlich von der Antragseinreichung auf Zulassung eines neuen Medikaments bis zum Entscheid von Swissmedic?
Es gibt Vorgaben und Fristen, die wir veröffentlichen. Für ein reguläres Gesuch können wir uns bis zu 330 Kalendertage Zeit nehmen. Dann gibt es noch das beschleunigte und das befristete Zulassungsverfahren, die wir in weniger als der Hälfte der Zeit, also maximal 140 Kalendertagen, bearbeiten. Zu 95 Prozent halten wir diese Fristen ein. – Gleichzeitig dürfen sich die einreichenden Firmen Zeit nehmen, unsere Fragen oder Bedenken zu beantworten, und können allenfalls noch weitere Daten nachliefern.
Was sind die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Zulassungsverfahren?
Das Gesetz schreibt drei Kriterien vor: Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder invalidisierende Erkrankung handeln, für die es aktuell keine guten Behandlungsmöglichkeiten gibt, und vom neuen Produkt muss ein hoher therapeutischer Nutzen zu erwarten sein. Ob diese drei Kriterien erfüllt sind, entscheidet ein Expertenteam.
Wie trägt das Zulassungsverfahren dazu bei, dass die Patienten einem neuen Medikament vertrauen können?
Wir müssen sicherstellen, dass nur wirksame, sichere und qualitativ einwandfreie Heilmittel auf den Markt gelangen. Das erreichen wir mit kompetenten Mitarbeitenden, die sich ständig weiterbilden und mit internationalem Austausch. Alle Mitarbeitende arbeitet im betreffenden Fachbereich (Toxikologie, Pharmakologie, Medizin, Überprüfung der Herstellung) nach dem Vier-Augen-Prinzip. Es ist nie ein Experte oder eine Expertin allein für einen wichtigen Entscheid verantwortlich. Danach gibt es den Austausch in einem interdisziplinären (gemischten) Team. Zudem erfolgt eine zusätzliche Überprüfung durch ein externes, unabhängiges Expertenkomitee. Weiterhin ist eine Arbeitsteilung mit anderen angesehenen ausländischen Behörden möglich. So erreichen wir eine Arbeitserleichterung und eine noch intensivere Abstützung.
Trotz wissenschaftlicher Daten kann es international zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Wie gehen Sie damit um?
Wir sind eigenständig und unabhängig. Es kann sein, dass wir anders oder auch in Nuancen unterschiedlich entscheiden. Häufig geht es nicht um Zulassung oder Abweis, sondern um das «Wie». Es gibt beispielsweise Beschränkungen auf Patientengruppen. Das hängt von den eingereichten Daten ab, aber auch vom kulturellen Risikoverständnis und dem medizinischen Kontext. Bei einer Erkrankung mit tiefer Lebenserwartung gehen Patienten und somit auch wir höhere Risiken ein. Bei einer Diabeteserkrankung beispielsweise, die Jahrzehnte lang behandelt werden muss, fordern wir ein ganz anderes Sicherheitsprofil. Die meisten anderen Behörden in der Regel auch, aber die Risikobereitschaft unterscheidet sich etwa in Nordamerika im Vergleich zu Mitteleuropa, oder Asien.
Ist das Medikament ab Zulassung für die Patienten erhältlich?
Das ist abhängig davon, wann die Firma liefern kann, aber im Prinzip ja. Zunächst steht aber für die Unternehmen die Preissetzung an, für die Swissmedic nichts verantwortlich ist. Preisvorstellungen müssen wir im Zulassungsprozess komplett ausblenden. Das darf unsere wissenschaftliche Evaluation nicht beeinträchtigen. Die Frage der Vergütung eines neuen Arzneimittels prüft das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sobald der Vorentscheid der Swissmedic steht, kann das Unternehmen beim BAG ein Gesuch um Aufnahme in die Spezialitätenliste stellen. Erst nach diesem Entscheid erfolgt die Verhandlung über den Preis. Der Nutzen eines neuen Arzneimittels muss dabei gesundheitsökonomisch belegt werden. Ohne das wird ein Arzneimittel nicht von den Krankenversicherungen erstattet. Wir bemühen uns zusammen mit dem BAG, diesen Prozess besser aufeinander abzustimmen, sodass die Überprüfung der Vergütung und die Festlegung des Preises früher beginnen können. Unsere Patienten sollen von einem schnellen Marktzutritt profitieren können. Es soll nicht nur das Arzneimittel erhältlich, sondern auch die Erstattungsfrage geklärt sein.
Sie engagieren sich auf internationaler Ebene, Innovationen im Bereich der Alzheimer-Therapie zu fördern. Inwiefern können Regulierungsbehörden hier einen Beitrag leisten?
Es gibt viele Richtlinien, in denen genau beschrieben ist, welche Anforderungen und Nachweise für eine Zulassung erforderlich sind. An den «Lausanner Dialogues» klären wir seit 2014 mit Behörden anderer Länder, Patientenvertretern, der Industrie und Forschungsgruppen, ob diese Voraussetzungen für die Zulassung eines neuen Alzheimer-Präparats noch zeitgemäss sind. Dabei geht es um die kognitive Funktion, die man messen und mit Zahlen belegen kann, aber auch um das Funktionieren der Patienten im Alltag, ihre Unabhängigkeit und Autonomie. Auch das muss von den Forschungsgruppen und Firmen nachgewiesen werden. Die Sicherheit und Qualität müssen klar gegeben sein, aber beim (nicht ausreichenden) Nachweis der Wirksamkeit lag bislang meistens der Grund, weshalb sehr viele Entwicklungen im Bereich der Arzneimittelforschung eingestellt wurden. Ich hoffe, dass sich dieser Dialog positiv auswirkt, die Aufmerksamkeit auf diese schreckliche Erkrankung erhalten bleibt und die Forschung wieder in Gang kommt.