Was haben Sie im Umgang mit Menschen mit Demenz gelernt?

Lässt man sich bei der Betreuung von Menschen mit Demenz auf ihre Welt ein, dann reagieren sie positiv. Dazu braucht es viel Wissen und Verständnis für die Krankheit, eine gewisse Offenheit sowie Kreativität. Ist ein Pflegesystem rigide und deckt nur die Grundbedürfnisse ab, dann sinkt die Lebensqualität für die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Wenn Erkrankte im Rahmen ihrer Möglichkeiten möglichst viele Freiheiten und Wahlmöglichkeiten haben, dann können sie trotz einer schweren Krankheit ein lebenswertes Leben führen.

Im zweiten Teil erzählt Dr. med. Andreas Studer, zu welchen Erkenntnissen er während seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Thema Demenz gelangt ist.

Wie hat sich der Umgang mit Menschen mit Demenz in den letzten Jahrzehnten verändert?

Als ich begonnen habe, wurde unter dem Begriff «Demenz» ein Endzustand verstanden, über den man nicht gerne gesprochen hat. Dann erarbeiteten Fachärztinnen und -ärzte eine neue Definition, die auch frühe Formen von Demenz umfasst. Und es entstand das Verständnis, dass Menschen mit leichten Formen von Demenz noch jahrelang zuhause leben und sich in der Gesellschaft bewegen können. Zu Beginn meiner Laufbahn vor 30 Jahren erwartete man in fünf bis zwanzig Jahren ein wirksames Medikament gegen Demenz, was aber leider nicht gelungen ist. Unterdessen hat man Medikamente, welche den Verlauf etwas verzögern. Dies wird erreicht, indem Übertragungsstoffe, die durch Demenz vermindert werden, etwas länger im Hirn bleiben. Aber der Krankheitsverlauf wird nicht beeinflusst. Mit den neusten Medikamenten ist man leider immer noch weit weg von einem Durchbruch. Aber es ist gut und wichtig, dass man weiter forscht.

Wieso ist es wichtig, über Demenz offen zu diskutieren?

Demenz ist wegen der grossen Zahl der Erkrankten – derzeit 150'000 in der Schweiz – nicht nur ein Einzelschicksal, sondern bei der aktuellen Bevölkerungsstruktur betrifft es die ganze Gesellschaft. Auch wenn man über Demenz spricht, ist sie nicht geheilt, aber man kann einen besseren Umgang finden. Wenn Personen mit Demenz ein gutes Umfeld haben, dann können sie damit recht gut leben. Werden sie stigmatisiert oder ausgeschlossen, dann geht es den Erkrankten und den Angehörigen schlecht.

Welche Angebote braucht es für Menschen mit Demenz?

Häufig wird ein Gegensatz gemacht zwischen der Betreuung zuhause und im Heim. Doch es macht keinen Sinn, das eine Betreuungsmodell gegen das andere auszuspielen Wichtig ist, dass es möglichst überall vielfältige Angebote gibt. Denn die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen sind sehr verschieden. Deshalb braucht es ein breites Angebot über den gesamten Verlauf der Erkrankung: Vom ersten Anzeichen der Erkrankung zur Diagnose, über Entlastungsmöglichkeiten beim zuhause Leben bis zum Leben im Pflegeheim. Es braucht alle Angebote und sie müssen zusammenspielen. Nur dann ist eine gute Betreuung über den ganzen Verlauf der Erkrankung möglich. So können Erkrankte und Angehörige wählen: Wann mache ich ein Gedächtnistraining, werde Teil einer Wandergruppe, buche eine Tagesbetreuung oder eine Ferienwoche? Und wann folgt der Eintritt in einem Heim? Denn jeder Mensch mit Demenz und sein Umfeld hat unterschiedliche Bedürfnisse.
 

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Ich wünsche, mir dass es bald eine gute und wirksame Therapie gibt, welche den Verlauf deutlich verzögert oder stoppt. Dann würde der Schrecken dieser Krankheit massiv zurück gehen und man könnte damit wie mit einer anderen chronischen Krankheit gut leben.

Um sich mit Demenzerkrankten und ihren Angehörigen zu beschäftigen, braucht es Hingabe und Begeisterung. Ich wünsche mir, dass es möglichst viele motivierte Menschen gibt, die bereit sind für diese Aufgabe ihre Arbeitszeit – und noch mehr Engagement – zu investieren.