«Die Gruppe ist für mich zu einer Familie geworden», erzählt Marianne*. Und die Familie ist gross an diesem Nachmittag: Zwölf Frauen und ein Mann finden sich ein zur monatlichen Angehörigengruppe von Alzheimer St. Gallen / beider Appenzell, die von Brigitte Heller, gerontologische Fachfrau mit Schwerpunkt Demenz, geleitet wird. Die Atmosphäre ist herzlich, man duzt sich. Alle betreuen entweder ihren erkrankten Ehemann, ihre Partnerin oder einen Elternteil. Einige Teilnehmende haben ihren Partner bereits verloren, andere begleiten ihre Liebsten zu Hause und für weitere ist die Diagnose noch neu.
Brigitte freut sich, dass Angehörige heute ein deutlich höheres Selbstbewusstsein haben als noch vor ein paar Jahren. Seit langem begleitet sie Angehörige von Menschen mit Demenz. Es sei aber noch ein weiter Weg, bis die Leistung von Angehörigen gesellschaftlich, politisch und auch finanziell adäquat anerkannt sei. «Springt über euren Schatten, sagt, wie es euch geht, und lasst euch unterstützen», ermutigt sie die Runde.
Ferienzimmer im Pflegeheim
Das hat beispielsweise Annemarie* in den vergangenen Wochen getan. Um einige Tage fernab des gewohnten Umfelds mit ihrer Tochter und deren Familie zu geniessen, verbrachte ihr Mann diese Zeit in einem Pflegeheim und ging weiterhin in die Tagesklinik. Bekannte besuchten ihn regelmässig, unternahmen Spaziergänge und orientierten Annemarie über sein Befinden. «So wusste ich, dass es ihm gut ging», erzählt sie. Auch wenn der Wechsel aus dem gewohnten Umfeld in eine andere Umgebung und wieder zurück krankheitsbedingt mit einigen Schwierigkeiten verbunden war: Annemarie würde dieses Angebot erneut nutzen.
Genervt sein
Daniela* erzählt, worüber sie sich vor Kurzem geärgert hat: Sie erwartete Besuch und alles war wunderbar vorbereitet. Ihr Mann ist inzwischen inkontinent und so musste sie das Badezimmer unverhofft nochmals putzen. Viele Teilnehmende nicken. Sie selbst kennen ähnliche Situationen und wissen, zu wie viel Unmut sie führen. Auch mit WC-Training, Nachfragen und Pants lässt sich manches nicht vermeiden, so die geteilte Erfahrung. «Es ist nicht mein Mann, der mich nervt, sondern die Folgen der Erkrankung und die Zeit und Energie, die sie benötigen», erläutert Daniela.
Betreuungszeit für Berufstätige
Sabrina* hadert noch mit der Diagnose ihres Vaters. Sie wisse und sehe, wie viel ihre Mutter leiste. Nun sei sie als Tochter immer mehr gefragt. Sie möchte ihren Eltern gerne noch mehr zur Seite stehen, was aber schwierig ist aufgrund ihrer Berufstätigkeit. «Für berufstätige Angehörige müsste es unbedingt genügend bezahlte arbeitsfreie Betreuungszeit geben», so Sabrina, «die derzeitigen Möglichkeiten reichen für die Betreuung und Pflege einer demenzerkrankten Person keineswegs.»
Kaffee und Bratwurst
Auch Berührendes wird erzählt: Vor Kurzem musste sich Werner* einer Augenoperation unterziehen. Nun streichelt seine demenzerkrankte Frau immer wieder behutsam über seine Augenlider. Inzwischen hat die Gruppe einen WhatsApp-Chat, damit man sich auch ausserhalb der monatlichen Treffen austauschen und sich sehen kann. «Ihr könnt jederzeit vorbeikommen, bei mir gibt’s immer einen Kaffee», sagt Werner in die Runde. Rita* will unbedingt an der Olma eine Bratwurst essen und findet sofort Begleitpersonen. Aufgeräumt, gestärkt und mit einem Lächeln auf den Lippen verabschiedet man sich und freut sich bereits auf das nächste Treffen.
*Name der Redaktion bekannt
Kommentare