Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Zürich untersuchten, ob eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten einen negativen Einfluss auf die Mundgesundheit hat. Unter dem Begriff Mundgesundheit werden unter anderem die Anzahl Zähne mit Karies, Plaque, Zahnstein oder der Sanierungsgrad der Zähne zusammengefasst. Die Forschenden analysierten auch die Kaukraft und die Kaueffizienz bei Menschen mit und ohne Demenz. Die Kaukraft bezeichnet die physiologisch maximal mögliche Kraft der Person zur Zerkleinerung einer Nahrung. Gemessen wird sie, indem der Proband mehrere Male auf jeder Backenseite auf ein Messgerät beissen muss. Die Kaueffizienz meint die objektiv messbare Kauleistung, also den Zerkleinerungsgrad innerhalb einer vorgegebenen Zeit. Dazu geben die Forschenden den Testpersonen einen zweifarbigen Kaugummi ab mit der Anweisung, diesen 20-mal zu zerkauen. Anschliessend werten die Wissenschafter aus, wie stark sich die beiden Farben vermischt haben.
Die Gründe für eine Abnahme der Mundgesundheit bei Demenz sind vielfältig: Aufgrund einer Demenzerkrankung nimmt zum Beispiel die Selbstständigkeit einer Person ab ? im Unterschied zu früher putzt sie sich weniger regelmässig die Zähne. Auch Zwischenmahlzeiten ohne nachfolgende Mundhygiene können negative Auswirkungen auf die orale Gesundheit haben. Zudem reduzieren Menschen mit Demenz häufig die Besuche bei der Zahnärztin oder dem Dentalhygieniker, was sich wiederum negativ auf die Mundgesundheit auswirken kann.
Um den Zusammenhang zwischen Demenz und der Mundgesundheit festzustellen, haben Frau Dr. med. dent. Julia Jockusch und Frau Prof. Ina Nitschke 120 Personen untersucht. Die Studie fand zwischen Januar 2018 und November 2020 statt. Alle Studienteilnehmenden waren mindestens 60 Jahre alt und mussten zuerst einen Test ihrer kognitiven Fähigkeiten machen. Aufgrund dieser Testresultate konnten die Forschenden den Schweregrad einer Demenz feststellen: keine Demenz, leichte kognitive Beeinträchtigung, leichte Demenz, moderate Demenz, schwere Demenz. In jeder Kategorie teilten die Wissenschaftler die Probanden zufällig der Interventions- und der Kontrollgruppe zu. Während die Interventionsgruppe unterschiedliche Massnahmen erfuhr (z.B. Dauerrezept für eine hochfluoridhaltige Zahnpasta oder regelmässige physiotherapeutische Übungen für die Kaumuskulatur), führten die Forschenden mit den Personen in der Kontrollgruppe keine spezielle Intervention durch.
Die Studienautorinnen kamen zum Schluss, dass Menschen mit Demenz signifikant weniger zum Zahnarzt gehen und auch seltener einen Dentalhygieniker aufsuchen. Mit fortschreitender Demenz verschlechtert sich ausserdem die Mundgesundheit: Menschen mit Demenz haben häufiger Karies und sanierungsbedürftige Zähne als Menschen ohne Demenz. Mit Fortschreiten einer Demenzerkrankung sinkt ausserdem die Kaueffizienz, also die Fähigkeit, mit einem Kauzyklus möglichst viel Nahrung zerkleinern oder vermischen zu können. Ebendiese Kaueffizienz lässt sich durch physiotherapeutisches Training verbessern. Ein entsprechendes Training hilft sowohl Menschen mit Demenz als auch solchen ohne. Wird das Training jedoch nicht kontinuierlich durchgeführt, verfällt der positive Effekt rasch wieder.
Julia Jockusch und ihr Team folgern aus ihren Resultaten, dass die Berufsgruppen, die Menschen mit Demenz betreuen, sowie die Angehörigen ein besonderes Augenmerk auf die Mundhygiene von Menschen mit Demenz haben sollten. Zentrale Voraussetzung dafür sind eine entsprechend verbesserte Ausbildung von Pflegefachpersonen und eine diesbezügliche Information der angehörigen Personen. Es braucht beispielsweise ein individuelles Hygienekonzept und Informationen über die Ernährung, welche gemeinsam mit dem Pflegepersonal, den Angehörigen und der Zahnärztin oder dem Zahnarzt entwickelt werden. Ausserdem fordern die Studienautorinnen mehr klinische Studien zu diesem Thema, um einzelne Zusammenhänge noch umfassender und deutlicher verstehen zu können.
Interview mit Dr. med. dent. Julia Jockusch
Welcher Befund hat Sie am meisten überrascht?
In einer weiteren Analyse der erhobenen Daten konnte gezeigt werden, dass die Handkraft eines Menschen keinen Zusammenhang zur verfügbaren Kaukraft aufweist, unabhängig vom Schweregrad der Demenz oder von vorhandenen kognitiven Einschränkungen. Das heisst also, dass ein älterer Mensch, der über eine gute physische Kondition verfügt, nicht unbedingt auch über ausreichend Kaukraft verfügen muss. Die Kaukraft wird demnach von anderen Faktoren beeinflusst, die es weiter zu untersuchen gilt.
Worin lagen die Schwierigkeiten Ihrer Studie?
Die Schwierigkeit in der Durchführung der Studie lag ganz klar in der zeit- und personalintensiven Rekrutierung der Studienteilnehmer mit Demenz. Um allen rechtlichen Vorgaben und ethischen Arbeitsgrundsätzen zu entsprechen, bedürfen hier die Aufklärung zur Studienteilnahme und das Einholen des Einverständnisses bei den berechtigten Personen eines immensen Aufwands. Diesen haben wir jedoch gern auf uns genommen, da die klinische Forschung für Menschen mit Demenz leider häufig an eben dieser Hürde, die auch mit einem finanziellen Aufwand verbunden ist, scheitert. Wir möchten uns hier auch ganz herzlich bei dem gesamten Personal, den Leitern der zahlreichen Pflegeeinrichtungen bzw. geriatrischen Einrichtungen und den Ärzten sowie allen Angehörigen für die vertrauensvolle Kooperation bedanken.
Welche Empfehlungen an Angehörige von Menschen mit Demenz resultieren aus Ihrer Studie?
Wir können Angehörigen von Menschen mit Demenz aus zahnärztlicher Sicht raten, dass sie schon ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung den Kontakt zu einem Zahnarzt aufnehmen und ihren Angehörigen in ein regelmässiges Recall integrieren lassen. Hierzu gehört auch, dass die Dentalhygiene zunehmend häufiger pro Jahr in Anspruch genommen werden sollte, um Defizite in der Mund- und Prothesenhygiene, die sich gegebenenfalls bei der häuslichen oralen Hygiene ergeben, zu minimieren. Wichtig ist zudem, dass frühzeitig, so lange eine Behandlung auf dem Behandlungsstuhl noch möglich ist, vom Zahnarzt ein Therapiekonzept aufgestellt und umgesetzt wird. Hierbei sollte vorausschauend die zu erwartende Verschlechterung in der Behandlungsfähigkeit des Patienten berücksichtigt sein und darauf abzielt werden, gesunde orale Verhältnisse zu schaffen, diese zu erhalten und die Funktionalität auf lange Sicht zu gewährleisten.
Welche Handlungsempfehlung an Fachpersonen in Alters- und Pflegeheimen leiten Sie aus Ihrer Studie ab?
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Fachpersonen in Alters- und Pflegeheimen und übrigens auch Angehörige, sofern sie zu Hause pflegen, im Bereich Mund- und Prothesenhygiene, aber auch darin, was gesund und was krank im Mund ist, durch Pflegestandards und vor allem durch praktische Schulungen fit gemacht werden. Theoretisches Wissen ist eine gute Grundlage, noch besser wären aber Programme, die eine Hands-on-Aus- und -Fortbildung ermöglichen. Es ist wichtig, dass eine gute Zusammenarbeit mit einem mobil tätigen Zahnarzt ermöglicht wird, da eben nicht mehr alle Patienten die Zahnarztpraxis aufsuchen können oder keinen eigenen Zahnarzt haben. Eine regelmässige Kontrolle der oralen Situation mittels einer Inspektion durch das Fachpersonal, aber auch durch einen Zahnarzt sollte angestrebt werden, um einschneidende und unangenehme Notfälle zu vermeiden.
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