Das Büro des Leiters Betreuung und Pflege Marcus Pohl ist fast leer geräumt, wie alle drei Monate, wenn die Dentalhygienikerin des zahnmedizinischen Teams vorbeikommt. In 15 Minuten sind Zahnarztstuhl, Behandlungseinheit und Instrumente einsatzbereit. Dann ein Anruf in den zweiten Stock und kurz darauf tritt die Heimbewohnerin Ursula Ulrich zögerlichen Schrittes, aber sichtlich gut gelaunt ein. Die 73-
Jährige lässt sich regelmässig untersuchen und wenn nötig behandeln. Die Dentalhygienikerin: «Geht’s Ihnen gut? Haben Sie gefrühstückt?» Ulrich lässt sich zum Stuhl geleiten. Sie hat wahrgenommen, dass sie ein neues Gesicht anlächelt. Das ist nicht selbstverständlich, denn sie hat eine Demenz.
Dentalhygiene ist Prävention
Generell nehmen mit zunehmendem Alter die Hausarztbesuche zu, diejenigen bei Zahnärztin oder Zahnarzt ab. Kommt eine Demenz hinzu, gehen Letztere oft ganz vergessen. «Zu spät werden Schäden bemerkt. Oft bleibt nur der zahnärztliche Eingriff.» Stephanie Casparis stellte den schlechten Zahn- und Mundzustand bei älteren Menschen fest, als sie als Mundchirurgin tätig war. Überzeugt, dass es oft nicht zum aufwändigen und schmerzhaften Eingriff kommen müsse, startete sie mit den Besuchen vor Ort in Pflegeeinrichtungen. «Nicht als Zahnärztin», betont sie, «Dentalhygienikerinnen sind fachlich in der Lage, einen zahnmedizinischen Befund zu stellen.» Zudem könnten sie Entzündungen behandeln und bestimmen, ob und wann jemand doch zum Zahnarzt muss.
Die fünf Dentalhygienikerinnen wüssten, auf was sie im Umgang mit Demenz achten müssen. Vor den Besuchen gibt’s jeweils ein Briefing: Hat die Person eine Prothese, ein Implantat? Nimmt sie Medikamente, die den Speichel verringern und deswegen zu Essproblemen führen? Ein Zahn nach dem andern wird kontrolliert. Casparis koordiniert die Besuche und rapportiert für Pflegepersonal und Angehörige. Zwei Behandlungen pro Jahr können Betroffene über die Ergänzungsleistungen abrechnen, ohne vorherige Kostengutsprache.
Eine wertvolle Flexibilität
Marcus Pohl sieht nur Vorteile: «Die Wege sind kurz. Kann jemand nicht gehen, behandelt die Dentalhygienikerin sogar am Bett.» Rund ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner hier im Kompetenzzentrum Lebensqualität Schönbühl in Schaffhausen beansprucht das Angebot. Das sei toll, insbesondere für Menschen mit Demenz. Denn das Team sei geschult im Umgang mit Demenzerkrankten und es stehe genügend Zeit zur Verfügung. Das sei in einer herkömmlichen Praxis oft nicht der Fall. «Ist jemand morgens nicht so fit, verschieben wir den Termin auf den Nachmittag.» Die Angehörigen schätzten diesen Service sehr. «Unter dem Strich kommt die Prävention natürlich auch günstiger. Und: Schmerzfrei essen, besser sprechen, das heisst verbesserte Lebensqualität.» Der Bericht der Dentalhygienikerin gebe der Pflege auch Hinweise, auf was bei der Zahn- und Mundpflege individuell zu achten ist. «Es kommt zu weniger Notsituationen, für die nur der Zahnarztbesuch bleibt.»
Ursula Ulrich hat das «Putzen» eine Viertelstunde geduldig über sich ergehen lassen. Plötzlich schliesst sie den Mund, wendet den Kopf ab. Die Behandelnde reagiert prompt, stellt Licht und Geräte ab: «Geht’s, Frau Ulrich? Wir machen eine kleine Pause.» Nach einem Moment wendet sich die Patientin wieder der Dentalhygiene zu, öffnet den Mund, sobald das Gerät den Mund berührt. Noch zehn Minuten. Ursula Ulrich verabschiedet sich, entspannt wie nach einem Restaurantbesuch, mit mehrmaligem «Merci». Ihr bleibt ein aufwändiger, beschwerlicher Transport zu einer externen Kontrolle erspart.
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