Der Kanton Bern hat keine Demenzstrategie
Die Forderungen von Betroffenen und Alzheimer-Organisationen liegen auf dem Tisch. Verantwortlich für die Umsetzung sind in erster Linie die Kantone.
So haben diverse auch bereits kantonale Demenzstrategien erarbeitet. Bern gehört nicht dazu. Trotzdem ist das kantonale Gesundheitsamt der Meinung, dass man gut auf die zunehmende Anzahl Erkrankter vorbereitet sei. Unter den 300 Pflegeheimen habe es diverse mit spezialisierten Demenzabteilungen, sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheitsdirektion. Zudem finanziere der Kanton beispielsweise auch hauswirtschaftliche Dienstleistungen mit, die Alzheimerpatientinnen und -patienten zugutekämen. Und schliesslich habe der Kanton Leistungsverträge mit Fachorganisationen wie Alzheimer Bern abgeschlossen, damit diese Beratungen und Entlastungsangebote übernähmen. Die Frage, weshalb Bern über keine eigene Demenzstrategie verfüge, lässt Giebel allerdings offen. Der Kanton sei aber daran, sechs Teilstrategien zur Gesundheitsstrategie 2020 bis 2023 zu erarbeiten.
Nur: «Inwiefern das Thema Demenz explizit in einer solchen aufgenommen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen», so Giebel. Klar sei aber, dass der Kanton vermehrt auf eine ambulante Versorgung von Krankheitsbetroffenen fokussieren wolle.
Martin Täuber hofft auf ein Medikament
Im Naturhistorischen Museum ist die Gruppe mittlerweile in einem anderen Raum angekommen. Auf einem Tisch liegt ein grosses Leintuch. «Jetzt könnt ihr druntergreifen und fühlen. Was findet ihr da?», fragt die Museumsangestellte in die Runde. Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind skeptisch. Nicht so Martin Täuber. «Ihr müsst danach einfach kontrollieren, ob ihr noch alle Finger an den Händen habt», sagt er, lacht und greift unter das Leintuch. Andere folgen seinem Beispiel.
«Es ist eine Wildsau», sagt ein Mann am Tischende. «Eine Gämse!», ruft jemand anders. «Nein, ein Fuchs!» Unter dem Leintuch liegen diverse Tierfelle. Irgendwann können sie alle identifiziert werden.
«Mögt ihr noch?», fragt die Museumsmitarbeiterin. Alle sind sich einig: Ja, natürlich. Also folgt dasselbe Spiel mit Tierlauten aus einem CD-Player und in Gips gegossenen Spuren. Neben dem Sport und seiner Familie seien solche Anlässe der Grund dafür, weshalb er nach wie vor ein gutes Leben führe und glücklich sei, sagt Martin Täuber. Zudem denke er nicht zu viel darüber nach, was er nicht mehr tun könne, sondern versuche nach vorn zu blicken. Und dann ist da noch der Glaube. «Ich werde von der Kirche getragen, das gibt mir extrem viel Kraft.» So kann er sich überhaupt nicht vorstellen, dass er irgendwann sagt: Jetzt ist genug. Bis hierhin und nicht weiter – nun scheide ich freiwillig aus dem Leben. «Ich verurteile niemanden, der diesen Weg geht. Aber für mich persönlich wäre das nichts, egal, was noch kommt.»
Eine Hoffnung hat Mediziner Täuber zudem noch nicht aufgegeben. Jene auf ein Medikament, das ihm helfen könnte. «Die Chancen werden besser und besser. Es wird sehr viel investiert in diesem Bereich.»
Rückschläge in der Alzheimerforschung
Tatsächlich befinden sich momentan weltweit über hundert unterschiedliche Wirkstoffe in klinischen Studien. Allerdings gab es in letzter Zeit vor allem eines in der Demenzforschung: Rückschläge. Als eine der grossen Hoffnungen galt ein Wirkstoff mit dem Namen Aducanumab. Er solle den Krankheitsverlauf verlangsamen können, hiess es. Mitentwickelt wurden die Antikörper von Roger M. Nitsch, Neurowissenschafter und Professor an der Universität Zürich mit mehr als dreissig Jahren Erfahrung in der Alzheimerforschung.
Vor fünf Jahren sagte Nitsch an einer Veranstaltung: «Wir sind fast da, es dauert nur noch ein paar Jahre. In der Generation unserer Kinder wird es keinen Alzheimer mehr geben.»
Aducanumab wurde vor einem Jahr in den USA denn auch als erstes Medikament gegen die Krankheit zugelassen. Der Schritt war aber aufgrund von widersprüchlichen Studienergebnissen umstritten. Im Mai folgte die definitive Ernüchterung. Der USamerikanische Hersteller des Medikaments teilte mit, dass er dieses nicht mehr bewerben werde. Seither ist es ruhig geworden um Roger M. Nitsch. Man wolle sich erst zum Stand der Entwicklung äussern, wenn neue Daten vorlägen, heisst es bei seiner Kommunikationsagentur. Offenbar bedeutet der Rückschlag also nicht, dass Nitsch nicht mehr an Aducanumab glaubt. Allerdings hat kürzlich ein Medikament von Roche, das eine ähnliche Wirkungsweise hat, ebenfalls keine positiven Resultate hervorgebracht.
Der Bund entscheidet über Forschungsprogramm
Angesichts der Dringlichkeit fordert Alzheimer Schweiz deshalb auch bei der Forschung mehr Anstrengungen – konkret ein nationales Forschungsprogramm. Im März lehnte der Ständerat ein solches ab, nachdem sich der Nationalrat zuvor dafür ausgesprochen hatte. Deshalb ist die Organisation mit ihrem Anliegen nun direkt an die entsprechende Bundesstelle gelangt.
Da es noch viele Jahre dauern könnte, bis ein Medikament auf den Markt kommt, das etwas nützt, fokussiert die Organisation in ihrem Antrag auf die sogenannten psychosozialen Interventionen.
«Dazu gehören Dinge, die dazu beitragen, die Autonomie der Erkrankten sowie ihre kognitiven und psychosozialen Fähigkeiten zu erhalten», sagt Vizedirektorin Karine Begey. Also etwa Gedächtnistraining, Ergotherapie, Logopädie oder auch kreative Zugänge wie etwa Kunsttherapie. Die Wirksamkeit und die Wirtschaftlichkeit dieser Methoden stünden im Fokus des eingereichten Forschungsprogramms. Ein Entscheid des Bundes diesbezüglich steht noch aus.
«Rückschläge gehören in der Forschung dazu», sagt derweil Martin Täuber zur jüngsten Entwicklung. Jetzt müsse man einfach umso mehr dranbleiben und weiter an Medikamenten arbeiten. Er, der früher als Rektor gefordert hat, die Gesellschaft müsse sich mehr mit den Grenzen der Medizin befassen, glaubt jedenfalls nicht, dass diese bei Demenzerkrankungen bereits erreicht sind. «Who knows, who knows», ist seine Antwort auf die Frage, ob es überhaupt möglich sei, eine Demenz zu heilen.
Und dann sind der Rundgang im Naturhistorischen Museum und das Gespräch mit Martin Täuber zu Ende. Die Kaffeetassen sind leer, die anderen Teilnehmer der Alzheimergruppe bereits auf dem Heimweg. Aus dem Nichts heraus quakt Täuber plötzlich laut auf. «Das war eine Stockente», sage ich. Täuber bricht in schallendes Lachen aus. «Genau», sagt er, «grandios –Sie haben den Test bestanden.»
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