Mit 58 Jahren sind die meisten Menschen noch mitten im Erwerbsleben. Bei Stefan Müller, auf dem Bild mit seiner Ehefrau Nadine Haldemann, ist das etwas anders. Bei ihm wurde im April 2020 Alzheimer diagnostiziert. Wie häufig bei Menschen, die jung an Demenz erkranken, war auch bei ihm der Weg zur Diagnose lang. Die Anzeichen, dass etwas nicht stimmt, wurden bei ihm fälschlicherweise einem Burnout zugeordnet. Erst anderthalb Jahre später erhielt er dann die Diagnose Demenz. Diese habe ihn traurig gemacht.

Relativ rasch haben seine Frau und er sich dann aber auf die neue Situation eingestellt: «Wir fokussieren uns auf Aktivitäten und Dinge, die ich beziehungsweise wir noch selbst beeinflussen können. Dies war und ist für mich ein guter Weg, um mit der Krankheit Frieden zu schliessen, ohne dass ich sie verdränge». Sein Tipp: Aufgeben ist tabu. Er probiere immer wieder neue Sachen und lote angstfrei aus, was alles noch gehe, erklärt der zweifache Vater und Grossvater aus Belp. Das bedeute, weiter im Alltag seine Erfahrungen zu machen. Beispielsweise beim Einkauf, den er meist noch gut allein meistern kann. Mit genug Zeit und der Information über seine Alzheimer-Erkrankung ans Verkaufspersonal sei er immer gut gefahren.

Stefan Müller ist und bleibt ein Macher, der in der Gesellschaft ein wertiger Teil bleiben und Dinge bewegen will: Ein Botschafter mit der Motivation, etwas zu bewirken, wie zum Beispiel einen normalen Umgang mit dieser Krankheit. Es ist ihm ein grosses Anliegen, dass Demenzerkrankte nicht vergessen gehen. Sein Beitrag dazu: Betroffenen zeigen, dass es einen Weg nach der Diagnose gibt. Dieser sieht sicherlich anders aus als ohne die Diagnose und ist mit vielen Herausforderungen gespickt, die nicht einfach zu tragen sind. «Es ist ein zweites Leben, das man bekommt. Mit anderen Prioritäten und anderen Dingen, die Freude machen können.» Dies ist mit ein Grund, weshalb Stefan (Müller) sich bei der Arbeitsgruppe Impuls Alzheimer engagiert. Dort beurteilt und initiiert er gemeinsam mit anderen Menschen mit Demenz Projekte und Aufgaben von Alzheimer Schweiz (www.alz.ch). Er rät anderen Betroffenen, es «ruhig zu nehmen» bei Aktivitäten, bei Bedarf um Hilfe zu bitten und sich nicht zu verstecken: «Ich spreche offen über meine Alzheimer Erkrankung, damit andere verstehen können, warum ich mit etwas Mühe habe oder mehr Zeit benötige. Ich habe stets gute Erfahrungen gemacht mit meiner Offenheit.» Er selbst hat nie erlebt, dass sich Freunde oder andere Personen von ihm abgewendet haben, als er von seiner Krankheit erzählte.

Trotz aller Motivation und nach-vorne-Sehen gibt es aber auch dunkle Tage. «Loslassen ist nicht der einfachste Job, den man dabei macht.» Eine unheilbare Krankheit zu haben, die – bei ihm – ohne körperliche Schmerzen auftritt, beträfe auch immer die psychische Gesundheit. Es sei ein emotionaler Schmerz, den man zu tragen habe. Bei ihm als Betroffenem schmerzten Einschnitte wie beispielsweise aufhören, Auto zu fahren. Oder sich an den Gedanken gewöhnen zu müssen, eventuell einmal auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein. Ähnlich sieht es Nadine Haldemann, seine Partnerin: Der Schmerz über das Verschwinden des geliebten Partners in kleinen Schritten sei oft präsent. Man versuche täglich Wege für den geliebten Menschen zu finden, wenn man sehe, dass dieses oder jenes nicht mehr geht. Vor allem, um ihm zu verstehen zu geben, dass er trotz allem ein sehr wertvoller und besonderer Mensch sei. Damit klarzukommen, so seine Frau, sei als Angehörige nicht immer einfach. Wegen seiner Alzheimer-Erkrankung ergeben sich bei Stefan Müller haptische Probleme. So fällt es ihm teilweise schwer, seine Schuhe zu binden oder eine Jacke mit zweifachem Reisverschluss zu schliessen. Auch das Schreiben bereitet Mühe und die Vergesslichkeit nimmt zu, weswegen er ab und zu etwas länger braucht, um das passende Wort zu finden. «Heute hadere ich nicht mehr mit meinem Schicksal. Ich habe gelernt, loszulassen.

Manchmal bin ich auch froh über die viele freie Zeit. Ich habe einen intensiven Kontakt mit meinen Kindern und Enkelkindern, aber auch mit meiner Schwester.» Bei ersteren verbringt er regelmässig das Wochenende. Sie alle seien grosse Stützen und wertvoll. Nach einem solchen Wochenende komme er jeweils strahlend nach Hause, erzähle ihm seine Frau. Ihr wiederum, die ihn wo immer nötig unterstützt und darauf achtet, dass er seinen Alltag möglichst selbstständig gestalten kann, geben diese Wochenenden die Möglichkeit, eigenen Interessen nachzugehen. Auch ihre Batterien müssen regelmässig aufgeladen werden. Denn es gibt doch einiges, was sie für ihn übernehmen muss, wie beispielsweise das Bezahlen der Rechnungen, den Kontakt mit der IV sowie weitere administrative Aufgaben. Diese sind zum Teil zeitintensiv und reduzieren die gemeinsame Zeit stark.

Gefragt nach seinen Lebensträumen sagt Stefan, dass er schon einiges umgesetzt habe. Dazu gehören Golf spielen, eine Harley zu besitzen oder im englischsprachigen Ausland zu arbeiten. Andere Träume sind noch offen, so etwa die Reise nach Afrika, damit er auf jedem Kontinent einmal gewesen ist. Aber auch der Wunsch, ein Lied auf dem Saxophon spielen zu lernen. Instrument und Unterrichtsgutschein hat er bereits. Der Realisierung steht nicht die Krankheit, sondern die Pandemie im Weg. Weil er nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen kann, fehlt ihm eine sinnvolle Aufgabe. Deshalb ist ein Wunschprojekt von ihm und seiner Frau, einen Assistenzhund zu sich zu nehmen und selbst auszubilden: «Wir sind bereits am Planen und hoffen, dass bald ein Vierbeiner mit uns durchs Leben geht.»