Bertrand Dutrannois empfängt uns in seinem Haus in Etoy (VD), wo er seit rund 20 Jahren mit seiner Frau lebt. Ihre Tochter ist 21 Jahre alt und studiert in Belgien. Während er Kaffee kocht, wirft er in legerem Ton ein: «In dieser Küche wechseln die Dinge ständig ihren Platz!» Er sagt, dass er sich mit seinem Humor durchschlägt, auch wenn er manchmal nicht ganz bei der Sache ist. Es gibt keine Post-its auf den Schränken mit Hinweisen zu deren Inhalt. Aber in seiner Agenda notiert er alles und in seinem Logbuch hält er seine Aktivitäten, Überlegungen und Stimmungen fest; auf ein Whiteboard schreibt er, was er erledigen muss.
Als Bertrand Dutrannois im August 2020 die Alzheimer-Diagnose erhielt, war er 53 Jahre alt. Der ausgebildete Logistiker, der auf Export und internationalen Transport spezialisiert ist, hatte ein paar Monate zuvor seinen Job verloren – eine wirtschaftlich bedingte Kündigung aufgrund der Corona-Pandemie. «Schon damals spürte ich, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist. Ich war vergesslich, dabei hatte mich mein Beruf gelehrt, immer sorgfältig und gut organisiert zu sein. Und ich war sehr erschöpft, was an ein Burnout hätte denken lassen.»
Er hinterfragte diese ersten Symptome, denn seine Mutter war ebenfalls an Alzheimer erkrankt, wobei sie damals älter war als er. Als er die Diagnose erhielt, war er entsprechend nicht überrascht, auch wenn man, wie er sagt, «nicht gut darauf reagiert». Seine Symptome wirkten sich bald und deutlich auf seinen beruflichen Alltag aus. Bevor er sich arbeitslos meldete, bewarb sich Bertrand Dutrannois bei einem Unternehmen in der Region. «Dort wurde mit einer SAP-Software gearbeitet, die ich sehr gut kannte, da ich schon in der Vergangenheit als Ausbildner damit gearbeitet hatte. Ich blieb vier Tage in dem Unternehmen, aber ich konnte einfach nicht arbeiten», erzählt er.
Wiedereingliederungspraktikum
Nachdem die Diagnose gestellt war, pendelte er zwischen den Schaltern des RAV und der IV hin und her. Bei Letzterer stellte er ein Rentengesuch. Für die Zeit bis zum Entscheid verwies ihn die IV an eine Stiftung, die Menschen bei der beruflichen Wiedereingliederung oder Neuorientierung begleitet. Es folgte eine lange Phase mit Gesprächen, Evaluationen und Kompetenzbewertungen, um herauszufinden, welches von der IV finanzierte Praktikum in welchem Unternehmen man ihm anbieten sollte. «Ich wusste von Anfang an, was für ein Praktikum ich machen wollte: Ich sah mich in der Logistik, ich wollte Paletten umräumen und Kartonschachteln stapeln. Ich musste mich betätigen.»
Er machte sein Praktikum im ersten Halbjahr 2022 in einem Unternehmen, wo er mit Ladearbeiten betraut war. Er hatte keine Organisations- oder Koordinierungsaufgaben, die in seinem langen Berufsleben zu seinen Stärken gehörten. Aber Bertrand Dutrannois war froh, dass er wieder eine Aufgabe gefunden hatte, und er schätzte den Kontakt zu seinen Arbeitskolleg:innen. Diese Erfahrung war für seine Stimmung sehr positiv. Seine Vorgesetzten begrüssten seinen Elan, mussten aber auch die Realität anerkennen: Unter Zeitdruck verzählte sich Bertrand Dutrannois bei den Dingen, die in den Lastwagen verladen werden mussten. Dabei muss alles schnell und korrekt ablaufen, denn ein stehender Lastwagen kostet viel Geld. Das Praktikum ging zu Ende und damit auch die Berufstätigkeit von Bertrand Dutrannois.
Bedürfnis nach Austausch und Gesprächen
Bertrand Dutrannois spricht in seinen familiären, sozialen oder beruflichen Beziehungen offen über seine Krankheit. «Ich habe entschieden, nichts zu verstecken. So fühle ich mich mit im Umgang mit anderen wohler.» Ausserdem wurde er von seinem Arzt im Centre Leenaards de la Mémoire manchmal angefragt, mit Studierenden zu sprechen oder an Forschungsprojekten teilzunehmen. «Ich habe Glück, dass ich noch berichten kann. Das ist wichtig für mich. Es ist mein Beitrag dazu, das Tabu um die Krankheit zu brechen.»
In den Alzheimer-Ferien für jung Erkrankte in Serpiano (TI), bei denen er schon zwei Mal dabei war, konnte er sich mit anderen frühzeitig erkrankten Menschen austauschen und sich komplett entspannen. «Hier ist das Wort Ferien wirklich passend.» Mit der Idee des Austauschs und Gesprächs im Hinterkopf suchte er eine Gesprächsgruppe für jung an Alzheimer Erkrankte. In Sitten wurde er fündig und schloss sich der Gruppe an. «Solange ich arbeitslos war, konnte ich den Weg auf mich nehmen. Aber mit dem Praktikum war das nicht mehr möglich.» Von da an überlegte er zusammen mit seiner ehrenamtlichen Betreuerin, die er in den Alzheimer-Ferien kennengelernt hatte, eine Gesprächsgruppe in Lausanne zu gründen. «In der Gesprächsgruppe unterstützen wir uns, tauschen uns aus und lernen verschiedene Erfahrungen kennen. Es gibt weder Scham noch Tabus. Man kann alles sagen, vor allem das, was man seinem Umfeld nicht anvertraut, um es nicht zu beunruhigen.» Um ihr Projekt zu konkretisieren, wendeten sich die beiden an Alzheimer Waadt. Im November 2022 fand das erste Treffen in den Räumlichkeiten des Vereins statt. «Ein erster Schritt, den es brauchte.» In der Agenda 2023 stehen bereits weitere monatliche Treffen.
Von Tag zu Tag
Von Seiten der IV fiel der Entscheid im Herbst 2022: Die ganze Rente wurde bestätigt, bisher ohne nähere Erläuterungen. «Die Wartezeit ist lang, zu lang. Man muss geduldig sein, aber der Entscheid ist schon mal eine Erleichterung.» In der Zwischenzeit beschäftigt er sich mit Pétanquespielen, Spazierengehen, Velofahren. Und er trifft Vorkehrungen: Er machte erneut die Fahrprüfung, wechselte von seinem Allgemeinarzt zu einem neuen in 150 Meter Entfernung von seinem Haus, und in Absprache mit seiner Frau verkaufte er ihre Wohnung in Südfrankreich, um einen finanziellen Puffer anzulegen. «Im Moment ist die Situation nicht hoffnungslos. Noch verlaufe ich mich nicht. Manchmal fällt es mir schwer, mein Auto wiederzufinden – das nächste wird blau mit grünen Punkten sein.» Humorvoll ist er wieder, um die Karten besser gedeckt zu halten. Und philosophisch: «Ich lebe von Tag zu Tag und nehme alles mit, was gut ist.»
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Hoxha Patricia
30.06.2023