Obschon seit vielen Jahren weltweit an einem Wirkstoff zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit geforscht wird, kann die Erkrankung bis heute nicht geheilt oder aufgehalten werden. Zurzeit werden mehr als 100 verschiedene Wirkstoffe in klinischen Studien getestet. Ein solcher Wirkstoff ist Lecanemab, der vom japanischen Pharmaunternehmen Eisai gemeinsam mit ihrer amerikanischen Partnerfirma Biogen erforscht wird. Der Wirkstoff, der unter dem Handelsnamen Leqembi bekannt ist, hat unter anderem in den USA, Japan und Südkorea bereits die Zulassung erhalten. Das Medikament wird im solothurnischen Luterbach in der Produktionsanlage von Biogen hergestellt.
Der Wirkstoff Lecanemab, der auch unter dem Namen BAN2401 bekannt ist, verfolgt das Ziel die zugrundliegende Biologie der Alzheimer-Krankheit zu verändern. Dadurch soll das Fortschreiten einer Erkrankung in einem frühen Stadium verlangsamt werden. Eine Heilung der Alzheimer-Krankheit ist jedoch auch mit diesem Wirkstoff nicht möglich.
Bei Lecanemab handelt es sich um einen humanisierten monoklonalen Antikörper, welcher mittels einer passiven Immunisierung seine Wirkung erzielt. Dabei zielt der Wirkstoff auf die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Eiweissablagerungen im Gehirn ab. Dieses sogenannte Beta-Amyloid ist einer von zwei Eiweissstoffen, dessen Verklumpung und Ablagerung gemäss dem aktuellen Forschungsstand zu den möglichen Ursachen einer Erkrankung zählt.
Infusion alle zwei Wochen
Der Wirkstoff wurde in den letzten 10 Jahren in klinischen Studien mit mehreren hunderten Teilnehmenden erforscht. So wurde die Wirksamkeit von Lecanemab in der klinischen Phase-III-Studie Clarity AD mit rund 1800 Menschen in einem frühen Stadium ihrer Alzheimer-Krankheit untersucht. Dabei haben die Studienteilnehmenden entweder Placebo oder Lecanemab (10 mg/kg) mittels zweiwöchentlicher intravenöser Infusion über einen Zeitraum von 18 Monaten erhalten. Um die Wirksamkeit des Wirkstoffes nachzuweisen, wurde während der Studie unter anderem der Schweregrad von kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen oder der Beta-Amyloid-Spiegel im Gehirn erhoben. Zusätzlich erfassten die Forschenden das Auftreten von Nebenwirkungen.
Ermutigende Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie sind ermutigend. Diese wurden am 29. November 2022 an einer internationalen Konferenz in San Francisco von den beiden Unternehmen Eisai und Biogen vorgestellt. Die Studienergebnisse zeigen, dass Lecanemab unter anderem den klinischen Abbau auf einer globalen kognitiven und funktionalen Skala um 27% nach 18 Monaten im Vergleich zu Placebo verringerte. Darüber hinaus wurde ein signifikanter Abbau von Beta-Amyloid nach Lecanemab im Vergleich zu Placebo nach 18 Monaten nachgewiesen.
Darüber hinaus präsentierte Eisai am 25. Oktober 2023 an einer Konferenz die Ergebnisse einer Tau-PET-Unterstudie. Die Ablagerungen dieses Eiweissstoffes zählen ebenfalls zu den möglichen Ursachen der Alzheimer-Erkrankung. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass nach 18-monatiger Verabreichung von Lecanemab bei 76% der Teilnehmenden mit niedrigem Tau (d.h. Personen in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit) keine Verschlechterung auftrat während 60% eine klinische Verbesserung zeigten im Vergleich zu 55% bzw. 28% der Placebogruppe.
Der Wirkstoff kann jedoch auch Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder Mikroblutungen hervorrufen. Diese lagen allerdings im Rahmen der Erwartungen des Pharmaunternehmens und traten weniger häufig auf als bei früheren ähnlichen Wirkstoffen.
Zuletzt wurden zudem die vorläufigen Ergebnisse zu einer 6-monatigen subkutanen Verabreichung (Injektion ins Unterhautfettgewebe) von Lecanemab bei einer Untergruppe von Teilnehmenden veröffentlicht. Diese zeigen, dass eine wöchentliche subkutane Verabreichung zu einer grösseren (14%) Amyloid-Plaque-Entfernung als die zweiwöchentliche intravenöse Verabreichung führte. Darüber hinaus wurden weniger Injektionsreaktionen im Vergleich zur intravenösen Verabreichung beobachtet.
Die ausführlichen Ergebnisse wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Stand der Zulassung
Basierend auf den erfolgsversprechenden Studienergebnissen haben Eisai und Biogen in den USA eine Zulassung beantragt. Am 6. Januar 2023 hat die dafür zuständige Behörde Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung für die USA vorläufig bewilligt und anschliessend am 6. Juli 2023 die vollständige Zulassung erteilt. Der Wirkstoff ist unter anderem ebenfalls in Japan, China und Südkorea zugelassen. Im Juni 2023 hat Eisai einen Zulassungsantrag beim schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic eingereicht. Die Entscheidung hinsichtlich einer Zulassung ist zum aktuellen Zeitpunkt noch offen. Hingegen hat sich der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) am 26. Juli 2024 gegen eine Empfehlung des Wirkstoffes ausgesprochen. Die britische Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (MHRA) hat am 22. August 2024 eine Marktzulassung für Lecanemab zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit erteilt.
Nichtmedikamentöse Interventionen bleiben wichtig
Bei einer Zulassung von Lecanemab werden zudem nur Menschen in einem frühen Stadium ihrer Alzheimer-Erkrankung davon profitieren können. Deshalb bleiben nichtmedikamentöse Interventionen weiterhin von zentraler Bedeutung, um die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu stabilisieren oder zu verbessern.
In einem Interview erklärt Dr. Ansgar Felbecker, Präsident der Swiss Memory Clinic, was das neue Mittel Lecanemab macht, warum man vorsichtig optimistisch sein kann und warum es gar nicht so schlecht ist, dass die Schweizerische Arzneimittelbehörde nicht ganz so schnell ist wie die Amerikanische. Das Interview mit Ansgar Felbecker ist hier verfügbar.