Suzanne Martin (86) lebt seit dem Tod ihres Mannes in einem Altersheim im Berner Jura. Nach einem Schlaganfall, von dem sie sich gut erholt, macht ihr Arzt sie darauf aufmerksam, wie wichtig es wäre, ihre rechtliche Situation in medizinischen Fragen zu regeln. Dies für den Fall, dass sie eines Tages ihre Urteilsfähigkeit verlieren sollte. Suzanne Martin lehnt es in diesem Moment jedoch kategorisch ab, ein schriftliches Dokument zu verfassen. Sie bespricht die Frage aber trotzdem in den folgenden Tagen sowohl mit ihrer Familie als auch mit einem Pfleger. Sie entschliesst sich, eine Patientenverfügung zu verfassen, und setzt ihre Schwester Thérèse als Vertrauensperson ein: Sollte sie urteilsunfähig werden, soll ihre Schwester mit dem Arzt besprechen, welche medizinischen Massnahmen zu treffen sind.

Einige Monate später erkrankt ihre Schwester Thérèse schwer und verstirbt trotz lebensverlängernder Massnahmen nach kurzer Zeit im Spital.

Dieses Erlebnis nimmt Suzanne Martin sehr mit. Sie selbst kämpft in letzter Zeit immer häufiger mit gesundheitlichen Problemen. Sie informiert sich deshalb genauer über die Möglichkeiten einer Patientenverfügung. Sie erfährt, dass es möglich ist, eine bereits bestehende Patientenverfügung zu annullieren, und dass man sie auch jederzeit ergänzen oder verändern kann – vorausgesetzt, sie wird neu datiert und unterzeichnet. 

Suzanne Martin spricht auch mit ihren drei Töchtern über ihre Sorgen, Wünsche und Vorstellungen, sollte sie einmal in einer ähnlichen Situation sein wie ihre Schwester. Sie aktualisiert ihre Patientenverfügung und setzt eine ihrer drei Töchter als Vertrauensperson ein. In dieser Fassung führt sie auch auf, welchen Behandlungen sie zustimmt und welche sie ablehnt oder unter welchen Umständen sie mit einem Spitalaufenthalt einverstanden wäre. Auch nach Aktualisierung ihrer Patientenverfügung bleibt Suzanne Martin diesbezüglich mit ihren Töchtern im Gespräch.

Wie beurteilt unser juristischer Experte die Situation von Suzanne Martin?
Ist eine Person, beispielsweise infolge einer Demenzerkrankung oder auch am Lebensende, nicht mehr urteilsfähig, kann mittels einer Patientenverfügung im Sinne einer «rückblickenden» Willensäusserung die Selbstbestimmung der/des Betroffenen gewahrt bleiben (Art. 370 ff. ZGB). Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, darf der Arzt nicht einfach frei über die medizinischen Massnahmen entscheiden, sondern muss bei allen erheblichen Eingriffen die Zustimmung einer vertretungsberechtigten Person einholen. Diese Situation stellt für viele Nahestehende eine grosse, oft belastende Verantwortung dar, vor allem wenn sie keine echte Vertrauensbeziehung zur erkrankten Person hatten. Das heisst, eine Patientenverfügung kann die Angehörigen bei solch wichtigen Entscheidungen entlasten. 

Eine besondere Schwierigkeit ist jedoch, dass wir mögliche Behandlungssituationen meist nicht voraussehen können, zumindest nicht mehrere Jahre im Voraus. Entsprechend kommt es immer wieder vor, dass im Bedarfsfall zwar eine Patientenverfügung der betroffenen Person vorliegt, diese aber für die Situation, die nun eingetreten ist, nichts vorgesehen hat. Zurück zu Suzanne Martin: Den Töchtern kann das von Wertschätzung geprägte Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und ihrer Mutter sehr helfen. Sie können die aktuellen Wünsche ihrer Mutter einbringen, sollte sie nicht mehr urteilsfähig sein. Dies zeigt, dass es Sinn macht, in der Patientenverfügung auch eine Vertrauensperson einzusetzen – gerade bei Menschen mit Demenz. Bei ihnen ist absehbar, dass ihre Urteilsfähigkeit im Verlauf der Krankheit nicht uneingeschränkt weiterbesteht.

Vertrauensvolle Gespräche, wie sie Suzanne Martin mit ihren Töchtern pflegt, helfen zusätzlich, über ihre aktuellen Wünsche informiert zu sein.